Samstag, Juli 07, 2007

7.7.07

Der Kuss

"Ich stehe am Bett einer jungen Frau, deren Mund durch eine Lähmung verzogen ist. Ihr ist bei einer Gesichtsoperation ein kleiner für die Mundmuskulatur zuständiger Nervenast durchtrennt worden. Das wird von nun an so bleiben. Ich versichere Ihnen, dass ich als Chirurg bei dieser Operation mit allergrösster Sorgfalt vorgegangen bin. Trotzdem musste ich diesen kleinen Nerv durchschneiden, um den Tumor zu entfernen. Der junge Ehemann ist mit mir im Zimmer. Er steht an der anderen Seite ihres Bettes, und die beiden scheinen im Schimmer der Nachtlampe nur füreinander da zu sein. "Wie wohl die beiden Turteltauben damit fertig werden, mit diesem schiefen Mund?", fragte ich mich.
Die Frau wendet sich mir zu und fragt:
"Wrd mein Mund immer so bleiben?"
"Ja", antwortete ich. "Ihnen ist ein Nev durchtrennt worden."
Sie nickt und schweigt. Doch der junge Mann lächelt.
"Ich mag es", es sieht irgendwie verschmitzt aus."
In diesem Augenblick begreife ich seine Grösse. Ich senke den Blick. Man ist nicht aufdringlich in der Gegenwart eines grossen Menschen.
Er achtet nicht weiter auf meine Anwesenheit, beugt sich hinunter, um ihren schiefen Mund zu küssen. Und ich werde Zeuge, wie er seine Lippen so wie die ihren verzieht, um ihr zu beweisen, dass das Küssen noch bestens funktioniert.
Mir kommen die Götter des antiken Griechenlands in Erinnerung, die in Menschengestalt erschienen, und ich staune über ein solches Wunder."

Dr. Richard Selzer, aus: "Offen wie der Himmel, weit wie das Meer" von Jack Kornfield

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

*Tränewegwisch*

Gabrielas Tagebuch hat gesagt…

liebe she
herzlichen dank für deinen besuch.

liebe grüsse
gabriela